Anhörung der Verbände zur Digitalisierungsstrategie

Fachöffentliche Anhörung zur Digitalisierungsstrategie in der Landesvertretung (Foto: Kortyla)

Die Digitalisierungsstrategie des Landes wurde am 22. Februar 2019 mit über 80 Brandenburger Verbänden und Digital-Akteuren diskutiert. Staatssekretär und Digitalkoordinator Thomas Kralinski, der die Anhörung in der Berliner Landesvertretung mit einem Impulsvortrag eröffnete, sagte: „Die Erfahrungen der Praktiker sind uns wichtig. Digitalisierung ist kein abzuschließendes Thema, sondern ein ständiger, voranschreitender Prozess, der nur im Dialog fortentwickelt und positiv gestaltet werden kann. Dabei sind die fachliche Einschätzung und Kritik aus den jeweiligen Branchen wichtig für die nächsten Schritte der brandenburgischen Digitalpolitik.“

Kralinski weiter: „Wir wollen auch in Zukunft im Dialog bleiben. Denn Digitalisierung braucht einen Kulturwandel und Kommunikation. Wir müssen gewohnte Prozesse neu denken, denn Digitalisierung verändert die Art, wie wir leben und arbeiten und kann Distanzen verkürzen. Wir müssen Akteure miteinander verknüpfen – dadurch entsteht Neues. Die Verbändeanhörung ist deshalb ein Baustein auf dem Weg in eine digitale Gesellschaft.“

Die Digitalisierungsstrategie wurde in einem zweijährigen, ressortübergreifenden Prozess entwickelt, im Dezember 2018 im Kabinett verabschiedet und im Januar im Landtag beraten. Zudem wurden im Sommer 2018 drei Dialogveranstaltungen und eine Onlinekonsultation durchgeführt. Die Strategie umfasst neben politischen Visionen des Digitalbeirates die Digitale Agenda mit sieben Handlungsfeldern und über 200 Maßnahmen in sämtlichen Politikbereichen. Ein Zwischenbericht zur Umsetzung erster Maßnahmen will Kralinski im Sommer vorlegen.

Kralinski: „Die Landesregierung setzt sich massiv für den digitalen Infrastrukturausbau ein. Mit unserem Nachbarn Berlin wird eine verstärkte Kooperation im Digitalbereich angestrebt. Digitalisierung birgt viele Chancen gerade im Bereich der Gesundheitsversorgung und kann die Attraktivität des ländlichen Raums steigern.“

An der Anhörung nahmen u. a. der Städte- und Gemeindebund, der UVB, der DGB, die Verbraucherzentrale, der Landesbauernverband und Bitkom e.V. teil.

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Kurzbericht zur fachöffentlichen Anhörung zur Digitalisierungsstrategie des Landes Brandenburg am 22.2.2019 in der Landesvertretung in Berlin

Digitalkoordinator und Staatssekretär Thomas Kralinski eröffnete die Veranstaltung mit einem Impulsvortrag. Darin ging er auf die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse durch das Epochenphänomen der Digitalisierung ein. Die Landesregierung habe mit der vorgelegten Digitalisierungsstrategie sowohl einen spezifisch brandenburgischen Zugang zur Digitalisierung gefunden als auch einen „Kompass“ für die kommenden Jahre vorgelegt. Er erläuterte den partizipativ-integrativen Entwicklungsprozess der Strategie, bei dem alle neun Ressorts der Landesregierung mitgewirkt und somit digitalpolitische Ansätze aus allen Politikfeldern eingespeist haben.

Die sieben Handlungsfelder und 202 Maßnahmen seien nun zügig anzugehen, so Kralinski. Allerdings sei die Strategie eher als erster Schritt von vielen zu verstehen. Die digitalpolitische Debatte solle auf Basis des „Navigationssystems“, das die Landesregierung vorgelegt habe, intensiv geführt werden. Dazu diene auch die Verbändeanhörung. Weitere Veranstaltungen mit diversen Akteuren würden im Jahr folgen. Denn nur im Dialog ließen sich die gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse sinnvoll fortschreiben und entwickeln. Kralinski plädierte unter Einschluss von „Experimentierräumen“ für einen grundlegenden „Kulturwandel“, der zu agileren Strukturen und schnelleren und einfacheren Prozessen führen solle.

Silke Kühlewind vom Städte- und Gemeindebund Brandenburg eröffnete die Stellungnahmen der Verbände. Sie betonte, dass es sich bei der Digitalisierung um ein Querschnittsthema handele und daher die digitalpolitische Koordination durch die Staatskanzlei sehr sinnvoll gewesen sei. Dass man, wie in der Strategie skizziert, Vorreiterrollen in bestimmten Bereichen einnehmen wolle, sei wichtig. „Made in Brandenburg“ habe seinen eigenen Wert, ähnlich wie auch der Infrastrukturmelder „Maerker Brandenburg“ als  positiv hervorzuheben sei. Innovative Kommunen müssten vorangestellt werden, um beispielgebend wirken zu können. Zudem müsse Digitalisierung als Ergänzung gedacht werden, der Bürger setzte nach wie wie vor auch auf Ansprechpartner vor Ort. Mit Blick auf die Handlungsfelder führte sie aus, dass aus Sicht des Städte- und Gemeindebunds insbesondere die Themen Breitband und digitale Verwaltung von vorderster Bedeutung seien, aber auch Themen wie Demokratie und Ehrenamt zu Recht Aufnahme in den Katalog der Handlungsfelder gefunden hätten. Insgesamt sei die Strategie, so Kühlewind, „ein sehr guter Start“.

Oliver Suchy, Leiter der Abteilung Digitale Arbeitswelten beim DGB-Bundesvorstand, hob hervor, dass es die Digitalisierungsstrategie des Landes Brandenburg ganz offensichtlich „kein Schnellschuss“ gewesen sei. Auch im Vergleich mit anderen Bundesländern habe Brandenburg einen sehr positiven Strategieprozess geführt, der „geerdet und partizipativ“ gewesen sei. Er lobte den branchenspezifischen Ansatz. Das Thema Arbeit sei in allen Bereichen der Strategie präsent. Auch in der Umsetzung müsse nun ein Höchstmaß an Beteiligung gewährleistet werden. Experimentierräume seien wichtig, um im schnelllebigen Digitalzeitalter Dinge ausprobieren zu können und um trotz aller Sicherheitserwägungen nicht den Anschluss zu verlieren. Mit Blick auf die Arbeitswelt betonte Suchy die „Ungleichzeitigkeit“ der Arbeitsentwicklung. Die enormen Veränderungen beträfen nicht alle Berufe gleichermaßen und sofort, sondern die Jobprofile veränderten sich mal schleichend, mal radikaler. Kritisch hinterfragte er die Aussage, dass die Digitalisierung Kapazitäten für andere Aktivitäten frei setze. Suchy befürwortete den Anspruch, den Transformationsprozess aktiv gestaltend anzugehen. Hierfür hätte sich der DGB aber stärkere Inhalte im Bildungsbereich gewünscht.

Sven Weickert von den Unternehmerverbänden Berlin Brandenburg (UVB) hob hervor, dass die Strategie der Beginn eines Prozesses sein müsse. Die Digitalisierung sei eine Daueraufgabe, ebenso wie Digitalstrategien Chefsache seien und letztlich alle Unternehmensbereiche beträfen. Denn schlechte Prozesse würden alleine durch die Digitalisierung nicht besser. Vielmehr müsse die Digitalisierung als Chance verstanden werden, Prozesse grundsätzlich neu zu denken. Weickert wies auf das UVB-Digitallabor hin, das den Austausch zu den Themen digitale Arbeitswelt, digitale Bildung und digitale Geschäftsmodelle stärken soll. Er wünschte sich eine stärkere Präsenz des Ministerpräsidenten in Digitalthemen, denn eine zentrale Steuerung sei dringend nötig. Er bot zudem die Mitarbeit des UVB im Digitalbeirat beim Ministerpräsidenten an. Mit Blick auf die zutreffend gewählten Handlungsfelder der Strategie verwies Weickert darauf, dass der Prozess des „digitalen Kulturwandels“ insbesondere in den Verwaltungen fehle, hier gehe es in erster Linie um die technischen Aspekte. Es entstehe zudem der Eindruck, dass die Gewerkschaften überpräsent seien. So fehlten Begriff und Vorstellung von „Wettbewerbsfähigkeit“, die im digitalen Wandel zwingend mitgedacht werden müssten. Dafür sei aber das Thema „Hauptstadtregion“ sehr gut adressiert. Mit Blick auf die 202 Maßnahmen sprach Weickert von einem „Maximalkatalog“, in dem alle denkbaren Ansätze und Maßnahmen ohne finanzielle Untersetzung und Priorisierung zusammengezogen seien. Was die – durchaus sinnvolle – Steuerung durch die Staatskanzlei angehe, sei eine Stabsstelle „zu wenig“ und somit ausbaufähig. Die neue DigitalAgentur sehe er mit Fragezeichen. Es bleibe abzuwarten, ob sich die Hoffnungen erfüllten. Insgesamt sei das Strategiepapier jedoch eine gute Grundlage für die weitere Debatte.

Christian A. Rumpke von der Verbraucherzentrale Brandenburg äußerte sich in erster Linie kritisch zum vorgelegten Strategiepapier. Brandenburg mit seinen 2,2 Millionen Verbraucherinnern und Verbrauchern sei im aktuellen Digitalisierungsatlas Schlusslicht unter den Bundesländern. Hier gebe es riesige Chancen, aber eine durchdachte Strategie sei nötig, um entsprechende Brücken zu schlagen. Das Infrastrukturthema müsse dringend um „softe“ Themen ergänzt werden. Starker Kritikpunkt waren die in der Strategie fehlenden Haushalts- und Investitionsschwerpunkte. Die Strategie wirke eher „zusammengesammelt“. Es fehlten Maßnahmen zum Datenschutz, die Bereiche Polizei und Cybercrime seien ebenfalls schwach aufgestellt. Auch mit Blick auf die IT-Transformation seien Details und insbesondere Personalkosten nicht benannt. Im kommenden Koalitionsvertrag müsse ein „Staatsminister für Digitales“ vorgesehen werden, der mit harten Befugnissen ausgestattet sei. Die Strategie sei ein „Auftakt“, so Rumpke, aber eben auch nicht mehr.

Der Präsident des Landesbauernverbands Brandenburg, Henrik Wendorff, schloss die Reihe der Verbändeimpulse. Er verwies darauf, dass alle Präzisionslandwirtschaft ohne Digitalisierung nicht denkbar wäre. Abgesehen von schnellem Internet an jeder Milchkanne sei hierfür jedoch ein offener Open-Data-Zugriff auf die Geodaten die Voraussetzung. Es stellten sich hierdurch aber auch neue Fragen, etwa nach dem Missbrauch der Daten oder zu Schnittstellen. Im Kern sei Datensicherheit und -hoheit eines der zentralen Themen von Digitalisierung. Auch die „Unternehmenskultur“ müsse in digitaler Hinsicht noch ausgebaut werden. Hierfür sei eine stärkere Kooperation und schnellerer Wissenstransfer nötig. Hierfür könnte z. B. eine spezifische Digitalisierungsförderung hilfreich sein.

Auf der anschließenden Podiumsdiskussion diskutierten unter Moderation von Axel Watzke folgende Gäste miteinander: Günther Fuchs, Landesvorsitzender der Gewerkschaft, Erziehung und Wissenschaft (GEW), Julia Paaß, Gutshof Prädikow, Netzwerk Zukunftsorte Brandenburg, Franziska Raspe, Leiterin Politik / Public Affairs, Bitkom e. V. und Frank Ullrich Schulz, Präsident Landesärztekammer Brandenburg.

Herr Fuchs von der GEW betonte, dass mit Blick auf den digitalen Wandel eine deutlich stärkere Untersetzung der Ressorts nötig sei. Der Digitalpakt sei hier kaum mehr als „ein Tropfen auf dem heißen Stein“. Das Berufsbild der Lehrer ändere sich durch die Digitalisierung deutlich. Dies komme erschwerend zur Tatsache hinzu, dass inzwischen 30 % der Lehrkräfte Quereinsteiger seien, die zunächst einmal im eigentlichen Lehrberuf trittfest werden müssten. Im Kern gehe es darum, Kompetenzen und Kritikfähigkeit auch in der digitalen Zeit zu nutzen und auszubauen. Fuchs regte an, sich internationale Beispiele, z. B. aus dem skandinavischen Raum, zum Vorbild zu nehmen. Bildung sei die Grundlage für alle Digitalisierung. Chancengleichheit müsse stärker in den Mittelpunkt rücken.

Julia Paaß vom Netzwerk Zukunftsorte Brandenburg verwies neben den großen Chancen durch die Digitalisierung insbesondere auf Hürden im Baurecht und bei behördlichen Abläufen, die einen erfolgreichen Ausbau der Zukunftsorte hemme. Hier seien neue Prozess- und Arbeitsstrukturen nötig. Sie unterstrich die Forderung von Staatssekretär Kralinski nach einem „Kulturwandel“. Außerdem würden dringend neue Förderkulissen benötigt, die den Spezifika digitaler Projekte gerecht würden und diese nicht ausschlössen. Auch besser Kooperations- und Austauschplattformen müssten entwickelt werden. Als hervorhebenswertes Digitalbeispiel nannte sie das Coconat-Projekt in Bad Belzig.

Frau Raspe vom IT-Branchenverband Bitkom wies die Kritik ihres Vorredners von der Verbraucherzentrale dahingehend zurück, dass Angelegenheiten des Datenschutzes primär europäische Rechtsfragen seien und damit mit gutem Grund nicht in der Digitalisierungsstrategie des Landes berührt würden. Gleichwohl vermisse sie in der Strategie Priorisierungen und Zeitachsen. Zum Stichwort des Kulturwandels betonte sie, dass agilere Strukturen in der Verwaltung wichtig seien. Auch beim Thema Künstliche Intelligenz solle Brandenburg von vornherein aktiv werden. Als positive Digitalisierungsbeispiele verwies sie auf on-demand-Shuttle-Busse im ländlichen Raum, die etwa vom Unternehmen door2door in Kooperation mit der Stadt Freyung in Bayern angeboten würden.

Herr Schulz von der Landesärztekammer hob mit Blick auf die teils heftige Diskussion zum Fernbehandlungsverbot in Brandenburg hervor, dass die Diskussion auch in der Ärzteschaft weitergehe. Es gebe bereits gute Digitalbeispiele im Bereich Telemonitoring (Fontane-Projekt), in der Telepathologie oder beim länderübergreifenden Herzinfarktregister. Gleichwohl bliebe der persönliche Kontakt zwischen Arzt und Patienten der „Goldstandard“.

In der anschließenden Diskussion wurden folgende Aspekte aufgegriffen oder kritisch hinterfragt:

  • Breitbandversorgung in Brandenburg
  • Sachstand Modellregion 5G
  • Förderung für Sozialinnovationen bei Start-Ups
  • Informatikunterricht an der Grundschule
  • Notfall-Apps (erprobtes Beispiel von der TH Brandenburg)
  • fehlende Einbeziehung des Behindertenbeirats bei der Erstellung der Strategie

Abschließend griff das Podium die Frage nach der Gestaltung des „Kulturwandels“ auf. Deutlich wurde, dass der Fokus auf Prozesse und Austausch gelegt werden müsse, was zwingend die Personal- und Kapazitätenfrage beinhalte. Experimentierklauseln und Freiräume auch in hierarchischen Strukturen seien wichtig, um überhaupt voranzukommen. Hierfür sei aber zwingend die Rückendeckung der Führungsebenen nötig, Dinge auch „machen zu lassen“.

Staatssekretär Kralinski dankte abschließend allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern für die vielen guten Anregungen und Hinweise und rief zum weiteren Dialog in Fragen der Digitalpolitik auf.  

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